Hannah

Eine schöne, große, schlanke Frau Anfang 30, zwei Kinder, hat sich bei Matteo in die Liste für offene Termine eingetragen.

Nachdem sie Platz genommen hatte sagt sie:
„Ich bin Ihrer Einladung gefolgt.“
Dann senkt sie ihren Kopf und sagt:
„Ich habe es noch nie ausgesprochen und noch nie zu jemanden gesagt.“
Sie ringt weiter mit sich -
„Ich schäme mich so.“
Ihr Kopf ist immer noch gesenkt und sie sieht zum Boden

„Ich fühle mich zu einer Frau hingezogen“ -
„Wie schön“ sagt Matteo mit ruhiger Stimme und dann fordert sie auf:
„Sehen Sie mich an und sagen Sie es nochmal mit dem Ausatmen“ - Hannah richtet sich auf, sieht ihn an und sagt es ausatmend noch einmal, jetzt zu ihm - „Ich fühle mich zu einer Frau hingezogen“… „Das ist doch wunderschön“ … Abwehr es darf nicht sein …
„Ich träume jede Nacht von ihr - ich würde sie so gerne berühren.“ - „Sehen Sie mich an und sagen Sie es nochmal … „Ich träume jede Nacht von ihr - ich würde sie so gerne berühren.“
„Dass klingt ganz und gar stimmig …“ gibt ihr Matteo zurück.

Hannah befürchtet, dass ihr Mann gekränkt ist, sich verletzt fühlt und es nicht verstehen und nicht tolerieren würde.
„Das kann gut sein, aber es ist seine Kränkung. Ich nehme an, dass es nicht ihre Intension ist ihn zu verletzen oder zu kränken.“
„Nein, niemals!“ antwortet Hannah.
„Es gilt beides zu würdigen, Ihre Liebe zu ihm und ihr Hingezogen sein zu Ella. Beides ist Wirklichkeit, Ihre Wirklichkeit.“

„Wie wäre ihre Reaktion, wenn er sich zu einem Mann hingezogen fühlte? Wären Sie gekränkt und verletzt?“
„Nein.“
„Wenn es umgekehrt wäre, hätten sie Verständnis und bei sich selbst verurteilen Sie sich.“
„Wenn er gekränkt ist, ist es seine Kränkung - und wenn er Sie liebt, bedingungslos liebt, dann kann er Sie auch damit willkommen heißen - Ihre gute liebende Beziehung mit Martin und Ihre Anziehung zu Ella, beides würdigen als das was es ist. Eine Liebe steht nicht gegen
eine andere, Liebe ist niemals teilbar, jede Liebe steht für sich und ist richtig und gut. Liebe ist bedingungslos und Martin … wenn er Sie liebt … kann Sie damit willkommen heißen.“
„Also steht es an mit Ella zu sprechen“
„Sie haben nichts zu verlieren … Sie können Klarheit gewinnen …“
„Was ist ihre Horrorvision“
„Ella könnte sagen, das sie sich geehrt fühlt, aber meine Gefühle nicht erwidern kann“
„Die Liebe geht nicht verloren … oder bei ihr trifft es auf eine ähnliche Resonanz.“
Hannah: „Oh Gott …“
Matteo: „Oh Gott, wie schön!“ …
Ella ist eine starke Frau, sie ist straight und so sind auch ihre Email-Texte. Irgendwann habe ich angefangen, meine Nachrichten an sie mit „Liebe Ella“ zu beginnen und mit „Viele Grüße, Hannah“ zu beenden und seit einiger Zeit antwortet sie mit „Meine Hannah …“
„Es wäre so schön, wenn Martin jetzt hier sein könnte.“
„Sie können ihn ja einladen und wenn er Interesse hat und bereit ist, können wir eine gemeinsame Sitzung abhalten.“
Die Sitzung ist zu Ende und Hannah sagt: „Ich weiß, Sie sind Therapeut, aber darf ich Sie trotzdem in den Arm nehmen?“
„Sie dürfen“ antwortet Matteo und Hannah steht auf und umarmt ihn, so als wolle sie sich bedanken und in der Umarmung überprüfen und sich versichern, dass es so gut und richtig ist, wie sie empfindet. - Und es ist gut und richtig.

(Martin und Ella sind erfundene Namen)

Es war nicht Hannah´s Herz, das in Not war … in ihrem Herzen war Klarheit … es waren die lebensfeindlichen und lebensverachtenden Botschaften, die sie in ihrer Kindheit immer und immer wieder gesagt bekam, mit drohenden Gesten und strenger Stimme und Strafen, die in Aussicht gestellt wurden … all das hatte sie verinnerlicht, bis es sich so anfühlte, als wäre sie es selbst.
Und hinter allem stand Angst, die Angst vor dem Leben, vor dem Machtverlust, und die Angst vor der Liebe, nach der sie sich alle sehnten und vor der sie sich zugleich fürchteten.
Die großen Seelenleuchttürme Liebe - Freiheit - Frieden waren bei den meisten Menschen unbewohnt. Sie, die die wichtigsten Orientierungspunkte im Leben und für das Leben waren, waren oft verwaist, verlassen und menschen-seelen-leer.
Auf dem Ozean des Lebens irrten sie umher und viele waren sich ihres Umherirrens, garnicht bewusst.
Es konnte vorkommen, dass man tagelang keinen von Liebe erfüllten Menschen begegnete und wenn man die Menschen im höheren Alter gefragt hätte, wieviel Jahre ihres Lebens sie wirklich gelebt hatten, dann kam da nicht viel zusammen. Die Finger eine Hand waren bei den meisten schon mehr als genug …
Wenn er mit sich in die Stille ging, meinte er, das Leben weinen hören … denn das Leben schenkt sich wie die Liebe und ist der Reichtum schlechthin …

… als ob etwas, dass existiert und Wirklichkeit war, nicht existieren dürfte und nicht Wirklichkeit sein konnte … (die Liebe zu zwei Menschen … Treueschwüre, Eheversprechen … ich habe mich versprochen!?)

… kannst du mitfühlen, wenn dein geliebter Mensch einen anderen Menschen liebt
… kannst du mitfühlen, wenn dein geliebter Mensch an deiner Seite bleiben möchte, weil er dich liebt und achtet?